Mit Pferden wachsen: Reit- und Hippotherapie für Menschen mit Behinderung
Die Verbindung zwischen Mensch und Pferd ist seit Jahrtausenden tief und bedeutungsvoll. Doch weit über die Rolle als Arbeitstier oder Sportpartner hinaus offenbaren Pferde eine erstaunliche Fähigkeit: Sie können heilen und fördern. Für Menschen mit verschiedenen Behinderungen bieten Reit- und Hippotherapie einzigartige und effektive Therapieformen. Diese Ansätze gehen weit über rein körperliche Verbesserungen hinaus, denn sie entfalten auch psychische und soziale Vorteile. In diesem Beitrag erfahren Sie, wie diese Therapien wirken, welche Vorteile sie bieten und für wen sie geeignet sind.
Was sind Reit- und Hippotherapie?
Um die Wirkweise dieser besonderen Therapien zu verstehen, ist eine klare Abgrenzung wichtig. Denn bei Reittherapie und Hippotherapie handelt es sich um zwei verschiedene Ansätze. Beide Formen nutzen die einzigartige Beziehung zum Pferd als zentrales Element, unterscheiden sich jedoch in ihren primären Zielen und methodischen Schwerpunkten:
- Reittherapie, oft auch als Therapeutisches Reiten bezeichnet, ist ein Oberbegriff, der verschiedene Ansätze umfasst. Dazu gehören die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd oder auch das Reiten als Sport für Menschen mit Behinderung. Die aktive Interaktion mit dem Pferd, der Aufbau einer Beziehung und das Erlernen von Reitfähigkeiten stehen im Vordergrund. Die Ziele sind vielfältig und werden stets an die individuellen Bedürfnisse angepasst, sei es die Förderung sozialer Kompetenzen, kognitiver Fähigkeiten oder emotionaler Stabilität.
- Hippotherapie ist eine physiotherapeutische Behandlung auf dem Pferd. Hierbei wird die Bewegung des Pferdes gezielt genutzt. Die dreidimensionalen Schwingungen des Pferderückens ähneln dem menschlichen Gang und werden auf den Betroffenen übertragen. Dies hilft, Haltungs-, Gleichgewichts- und Bewegungsmuster zu verbessern. Die therapeutische Fachkraft führt das Pferd an der Longe, während die Patientin bzw. der Patient sich auf die Wahrnehmung und Anpassung an die Bewegung konzentriert. Es ist eine passive Therapieform, bei der das Pferd als Medium dient.
Warum Pferde so gute Therapeuten sind
Die therapeutische Wirkung von Pferden ist erstaunlich umfassend und berührt verschiedene Ebenen der menschlichen Entwicklung:
Auf der körperlichen Ebene bewirkt die Bewegung des Pferdes Wunder. Die rhythmischen Schwingungen verbessern Gleichgewicht, Koordination und Haltung. Die Rumpfmuskulatur wird gestärkt und der Muskeltonus reguliert, was besonders bei Spastiken zu einer Lockerung und verbesserten Beweglichkeit führen kann. Die Wärme des Pferdekörpers und die sensorische Stimulation durch seine Bewegung fördern zudem die sensorische Wahrnehmung.
Die psychische und emotionale Ebene profitiert enorm von der Interaktion mit den Tieren. Erfolgserlebnisse im Umgang mit dem Pferd steigern das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen. Die ruhige und präsente Art der Pferde hat eine beruhigende Wirkung. So können Ängste und Stress abgebaut werden. Das Tier fordert Vertrauen und bietet gleichzeitig Geborgenheit und Akzeptanz, was die emotionale Regulation verbessert.
Auch auf der sozialen und kognitiven Ebene eröffnen sich viele Möglichkeiten. Durch die nonverbale und oft auch verbale Kommunikation mit dem Pferd entwickeln Patient*innen Verantwortungsbewusstsein und Empathie im Umgang mit dem Tier. Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit werden geschult, und die Strukturierung des Alltags durch feste Therapietermine und die Übernahme kleiner Aufgaben im Stall trägt zur persönlichen Entwicklung bei.
Für wen eignen sich Reit- und Hippotherapie?
Reit- und Hippotherapie bieten sich als Therapieform für viele Behinderungen und Erkrankungen an. Dazu gehören beispielsweise Zerebralparese, Multiple Sklerose, Autismus-Spektrum-Störungen, ADHS, psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen, sowie Lernschwierigkeiten oder Entwicklungsverzögerungen. Das Alter kennt dabei nahezu keine Grenzen - Kinder wie Erwachsene profitieren von den vielseitigen Effekten.
Der Therapieprozess ist stets individuell auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten des Einzelnen zugeschnitten. Nach einer ausführlichen Anamnese und Zieldefinition wird ein Therapieplan erstellt, der regelmäßig überprüft und angepasst wird. Entscheidend für den Erfolg der Therapie sind die Qualifizierung der Therapeut*innen und gut geschulte Therapiepferde. Nur speziell ausgebildete Reit- und Hippotherapeut*innen können die komplexen Bewegungsabläufe des Pferdes und die individuellen Reaktionen der Patientin bzw. des Patienten richtig interpretieren und therapeutisch nutzen. Die Therapiepferde sind sorgfältig ausgewählt, ruhig, geduldig und speziell für diese Arbeit ausgebildet.
Fazit: Das Glück der Erde …
… liegt auf dem Rücken der Pferde. So sagt es der Volksmund. Tatsächlich sind Reit- und Hippotherapie weit mehr als nur therapeutische Maßnahmen. Sie bieten Menschen mit Behinderung die Chance auf körperliche Verbesserung wie auch auf persönliche Entwicklung. Die besondere Verbindung, die zwischen Mensch und Pferd entsteht, macht den therapeutischen Prozess so besonders und ermöglicht es den Patient*innen, über sich hinauszuwachsen und neue Lebensqualität zu entdecken. Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, von dieser besonderen Therapieform profitieren könnten, ermutigen wir Sie, die Möglichkeiten zu erkunden und sich weiter zu informieren.