Plötzlich Pflegefall? Was jetzt zu tun ist

15. Oktober 2025

Wenn ein geliebter Mensch unerwartet zum Pflegefall wird, stellt diese Nachricht das Leben von einem Moment auf den anderen völlig auf den Kopf. In dieser Situation fühlen Sie sich wahrscheinlich überwältigt, geschockt, traurig oder einfach nur hilflos. Plötzlich tun sich unzählige Fragen auf. Doch Sie sind nicht allein und es gibt Wege, diese Herausforderung zu meistern. Dieser Beitrag dient Ihnen als praktischer Leitfaden, der Ihnen hilft, die ersten wichtigen Schritte in einem plötzlichen Pflegefall zu bewältigen und schnell die richtige Unterstützung zu finden. Gezieltes und informiertes Handeln in dieser Phase legt die Grundlage für eine würdevolle und optimale Pflege Ihres Angehörigen.

Der erste Schock: Welche unmittelbaren Schritte sollten wir gehen?

Der Eintritt einer Pflegesituation ist eine tiefe Zäsur im Leben. Es ist absolut in Ordnung, in diesem Moment geschockt, traurig oder überfordert zu sein. Erlauben Sie sich diese Gefühle.


Der wichtigste unmittelbare Schritt ist die Klärung der medizinischen Situation. Nehmen Sie Kontakt zu den behandelnden Ärzt*innen auf, sei es im Krankenhaus oder in der Hausarztpraxis. Informieren Sie sich ausführlich über die Diagnose und die Prognose. Verstehen Sie, welche Behandlungen notwendig sind und welche kurz- oder langfristigen Einschränkungen zu erwarten sind. Klären Sie, ob akute Gefahren bestehen und welche grundlegenden Bedürfnisse – wie die regelmäßige Einnahme von Medikamenten oder die Sicherstellung der Ernährung – gedeckt werden müssen. Ist Ihr Angehöriger im Krankenhaus, sprechen Sie außerdem mit dem dortigen Sozialdienst. Dieser ist speziell dafür geschult, Familien in solchen Situationen zu beraten und erste Weichen für die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt zu stellen.


Bei psychischer Überforderung zögern Sie nicht, den ärztlichen Bereitschaftsdienst oder Krisendienste für psychologische Unterstützung zu kontaktieren. Informieren Sie auch nächste Angehörige. Diese können Ihnen emotionalen und praktischen Beistand leisten. Sie müssen diese Verantwortung nicht alleine tragen, sondern können sie auf mehrere Schultern verteilen. Beispielsweise können Sie mit Unterstützung die häusliche Umgebung sichern, um Stürze oder andere Gefahren zu vermeiden.

Orientierung im Pflegesystem: Welche Leistungen der Pflegekasse gibt es?

Nach den ersten Maßnahmen ist es entscheidend, sich im Pflegesystem zu orientieren, um entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen zu können. Zentral ist hierbei die Beantragung eines Pflegegrads. Denn ohne einen festgestellten Pflegegrad erhalten Sie keine Leistungen der Pflegeversicherung. Wenden Sie sich deshalb umgehend an die zuständige Pflegekasse Ihres Angehörigen. Ein Anruf genügt oft, um den Antragsprozess in Gang zu setzen. Ein Gutachter wird sodann den Pflegebedarf feststellen.


Nutzen Sie auch das Angebot der Pflegeberatung in dieser neuen und komplexen Situation. Sie haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine umfassende und kostenlose Beratung nach § 7a SGB XI. Diese erhalten Sie durch Ihre Pflegekasse oder bei den Pflegestützpunkten in Ihrer Nähe. Die Beratung kann persönlich, telefonisch oder auch digital erfolgen und gibt Ihnen einen umfassenden Überblick über alle Möglichkeiten, Hilfsangebote und Leistungen. Hierbei wird ein individueller Versorgungsplan erstellt.


Die Pflegekasse bietet verschiedene Formen der Unterstützung an. Hier ein kurzer Überblick, wenn Sie sich für die Pflege zuhause entscheiden (gültig ab Pflegegrad 2):


  • Pflegegeld: Wenn Ihr Angehöriger durch Sie selbst oder andere Privatpersonen gepflegt wird, besteht Anspruch auf Pflegegeld.
  • Pflegesachleistungen: Diese werden gewährt, wenn Sie einen professionellen ambulanten Pflegedienst für die Pflegeleistungen in Anspruch nehmen.
  • Kombinationsleistungen: Bei dieser Mischform erhalten Sie sowohl Pflegegeld als auch Sachleistungen (anteilig), wenn Sie die Pflege teilweise selbst übernehmen und teilweise einen Pflegedienst beauftragen.
  • Tagespflege / Nachtpflege: Hier wird Ihr Angehöriger tagsüber oder nachts in einer teilstationären Einrichtung betreut, während Sie eine Auszeit haben oder Ihrer Arbeit nachgehen können. Das Pflegegeld wird dabei nicht gekürzt.
  • Kurzzeit- und Verhinderungspflege: Kurzzeitpflege bedeutet, dass Ihr Angehöriger vorübergehend vollstationär in einer Einrichtung gepflegt wird. Soll die Ersatzpflege ambulant erfolgen, spricht man von Verhinderungspflege. Beide Leistungen teilen sich ein Budget.
  • Hilfsmittel und Zuschüsse zur Wohnraumanpassung: Für notwendige Hilfsmittel wie etwa ein Rollator, ein Pflegebett oder ein Badewannenlift können Sie Zuschüsse beantragen. Auch bekommen Sie finanzielle Unterstützung für den barrierefreien Umbau der Wohnung, wie die Installation von Rampen oder Haltegriffen.
  • Entlastungsbetrag: Dieser monatliche Zuschuss von 131 Euro kann bereits ab Pflegegrad 1 zweckgebunden für zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen genutzt werden (z. B. für eine Haushaltshilfe oder Betreuungsangebote).


Alternativ können Sie sich natürlich auch für eine stationäre Unterbringung entscheiden, wenn die häusliche Pflege nicht (mehr) möglich oder nicht gewünscht ist. Die Pflegeversicherung übernimmt dabei einen Teil der Kosten für die vollstationäre Langzeitpflege im Pflegeheim. Der genaue Betrag ist abhängig vom Pflegegrad. 

Organisation des Alltags: Wie lässt sich häusliche Pflege organisieren? 

Sobald die ersten bürokratischen Schritte getan sind, geht es darum, den neuen Alltag zu organisieren und Entlastung zu schaffen. Für die häusliche Pflege gibt es verschiedene Möglichkeiten:


  • Ambulanter Pflegedienst: Engagieren Sie einen professionellen Pflegedienst für die medizinische Behandlungspflege (z. B. Medikamentengabe, Wundversorgung) und/oder für Teile der Grundpflege, die Sie nicht selbst übernehmen können oder möchten.
  • 24h-Pflege: Bei einem hohen Betreuungsbedarf, insbesondere wenn Ihr Angehöriger rund um die Uhr Unterstützung benötigt, kann die 24h-Pflege, bei der eine Betreuungskraft direkt im Haushalt lebt, eine gute Alternative zum Heim sein.
  • Schulungen für Angehörige: Viele Pflegekassen und Wohlfahrtsverbände bieten Schulungen für pflegende Angehörige an. Hier lernen Sie praktische Pflegetechniken, den Umgang mit spezifischen Krankheitsbildern und Möglichkeiten der Selbstfürsorge.
  • Essen auf Rädern: Dank eines Lieferservices für Mahlzeiten lässt sich die Essensversorgung sicherstellen. Die Kosten hierfür müssen Sie in der Regel allerdings selbst tragen.

Tipp: Kümmern Sie sich um Vollmachten und Verfügungen

Klären Sie rechtzeitig Vollmachten und Verfügungen. Überprüfen Sie, ob eine Vorsorgevollmacht, eine Betreuungsverfügung oder eine Patientenverfügung vorliegt. Falls nicht, sollten diese dringend erstellt werden, um die Wünsche des Pflegebedürftigen zu respektieren und handlungsfähig zu sein, wenn dieser selbst keine Entscheidungen mehr treffen kann.

Fazit: Sie sind nicht allein

Ein plötzlicher Pflegefall ist eine große Herausforderung. Doch mit den richtigen Informationen und einem strukturierten Vorgehen lassen sich die ersten Hürden erfolgreich meistern. Es ist entscheidend, informierte Entscheidungen zu treffen und Unterstützung zu nutzen, um eine gute Versorgungsqualität zu sichern. Denken Sie daran: Sie sind nicht allein! Nutzen Sie die vielfältigen vorhandenen Hilfen und bauen Sie auf Ihr Netzwerk aus Familie, Freunden und professionellen Diensten, um diese neue Lebensphase gemeinsam zu organisieren.

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