ME/CFS: Eine chronische Krankheit, die mehr Aufmerksamkeit verdient
An einer chronischen Krankheit zu leiden, ist verständlicherweise in vielerlei Hinsicht eine Last. Noch zermürbender aber ist es, wenn die Krankheit oft nicht verstanden, fehlinterpretiert oder gar nicht erst anerkannt wird. Genau das ist die Erfahrung vieler Menschen, die von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) betroffen sind. Diese schwere, chronische neuroimmunologische Erkrankung schränkt das Leben der Betroffenen massiv ein und erfordert von ihnen einen Kampf, der oft im Verborgenen stattfindet. ME/CFS ist ein komplexes Krankheitsbild, das mehr Forschung, umfassende Aufklärung und die notwendige Anerkennung benötigt. In diesem Beitrag möchten wir einen Einblick in das Wesen dieser Krankheit geben, ihre vielfältigen Symptome beleuchten und die Herausforderungen für die Betroffenen aufzeigen.
Was ist ME/CFS? Eine Definition und ihre Komplexität
Um die ME/CFS ist eine multisystemische Erkrankung, die weitreichende Auswirkungen auf den gesamten Organismus hat. Betroffen sind insbesondere das zentrale Nervensystem, das Immunsystem und das Energiesystem der Zellen, welches für die Energieproduktion zuständig ist. Das Hauptsymptom von ME/CFS ist die Post-Exertional Malaise (PEM). Hierbei handelt es sich um eine massive, krankheitsverstärkende Verschlechterung des Zustandes selbst nach geringster körperlicher, geistiger, emotionaler oder sozialer Anstrengung. Dies ist aber keine gewöhnliche Erschöpfung, wie sie jeder kennt. Stattdessen kann die Verschlechterung Stunden oder Tage verzögert auftreten und zu einer wochen- oder monatelangen Bettlägerigkeit führen.
Die genauen Ursachen von ME/CFS sind noch immer unbekannt. Häufig wird die Krankheit jedoch durch einen Infekt ausgelöst, wie beispielsweise das Epstein-Barr-Virus (EBV), das Q-Fieber oder in jüngster Zeit auch COVID-19. Nach dem initialen Auslöser kommt es zu komplexen Immunfehlregulationen und Stoffwechselstörungen, die die Symptome aufrechterhalten. Das große Problem bei der Diagnosestellung: Für ME/CFS gibt es bisher keine spezifischen Biomarker. Zudem wird das Krankheitsbild in der medizinischen Ausbildung oft noch nicht ausreichend behandelt, weshalb ME/CFS in vielen Fällen nicht oder nur sehr spät erkannt wird.
Die Symptomvielfalt und der Einfluss auf den Alltag
Auch wenn das Kernsymptom, die Post-Exertional Malaise, durch extreme Erschöpfung gekennzeichnet ist, ist die Bezeichnung "Chronisches Fatigue-Syndrom" irreführend. Denn die Symptomvielfalt von ME/CFS geht weit über Fatigue hinaus und kann jedes Organsystem betreffen. Auf neurokognitiver Ebene kann etwa "Brain Fog" auftreten - ein Zustand geistiger Benebelung, der sich in massiven Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Wortfindungsstörungen und Desorientierung äußert. Auch das Immunsystem leidet und zeigt Reaktionen: Symptome umfassen oft grippeähnliche Beschwerden, wiederkehrende Halsschmerzen, geschwollene Lymphknoten und eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen. Das Autonome Nervensystem, das viele unwillkürliche Körperfunktionen wie Herzschlag, Atmung und Verdauung steuert, kann ebenfalls betroffen sein. Dies äußert sich dann in Symptomen wie plötzlichem Schwindel, Herzrasen und Problemen bei der Temperaturregulation. Hinzu kommen chronische Schmerzen in Muskeln, Gelenken und Nerven, Schlafstörungen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit sowie Verdauungsprobleme.
Der massive Einfluss auf den Alltag ist für die Betroffenen oft verheerend. Der Schweregrad der Erkrankung reicht dabei von einer leichten Beeinträchtigung, die noch ein gewisses Maß an Selbstständigkeit erlaubt, bis hin zu schwerster Bettlägerigkeit. Viele verlieren ihre Arbeits- und Schul- oder Studierfähigkeit. Auch soziale Kontakte und Freizeitaktivitäten können stark eingeschränkt oder gar unmöglich werden. Für schwer betroffene Patient*innen kann ein typischer Alltag bedeuten, dass sie die meiste Zeit des Tages im Bett oder in einem abgedunkelten Raum verbringen müssen. Selbst alltägliche Handlungen wie Duschen, Zähneputzen oder eine kurze Unterhaltung können zu einem Crash (PEM) führen, der sie für Stunden oder Tage vollständig außer Gefecht setzt. In den extremsten Fällen führt ME/CFS zu einer völligen Abhängigkeit von Pflege und Unterstützung bei den grundlegendsten Alltagsaktivitäten wie Essen, Hygiene und Bewegung.
Herausforderungen: Stigma und Therapie
Eines der größten Probleme für Menschen mit ME/CFS ist die mangelnde Anerkennung und das Stigma, das die Krankheit umgibt. Oft wird das Krankheitsbild fälschlicherweise als rein psychosomatisch abgetan. Diese Stigmatisierung führt zu einer verzögerten Diagnose und erschwert den Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung. Hinzu kommen große Forschungslücken, was dazu führt, dass die Ursachen, präzise Diagnostik und effektive Therapien nur unzureichend geklärt sind.
Es gibt derzeit keine Heilung für ME/CFS. Die Behandlung ist rein symptomorientiert und zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität so gut wie möglich zu erhalten. Das wichtigste Managementinstrument ist das sogenannte Pacing, bei dem die Betroffenen lernen, ihre verfügbare Energie genau einzuteilen, um eine Überanstrengung und damit die PEM zu vermeiden. Medikamente können zur Linderung einzelner Symptome eingesetzt werden.
Fazit: ME/CFS braucht mehr Anerkennung
ME/CFS ist eine komplexe, schwerwiegende und oft missverstandene Erkrankung, die das Leben der Betroffenen beeinträchtigt und sie an den Rand der Gesellschaft drängt. Das Ausmaß des Leidens ist oft immens und unsichtbar. Es ist an der Zeit, dass diese Krankheit die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient. Die Notwendigkeit von mehr Forschung und mehr Aufklärung in der Öffentlichkeit ist unbestreitbar, um Fehldiagnosen zu vermeiden und eine adäquate Versorgung zu ermöglichen. Mögen zukünftige Fortschritte den Betroffenen Erleichterung bringen und die Wichtigkeit von Empathie und Unterstützung für jene, die im Stillen leiden, anerkannt werden.