Umgang mit Ekel: Das Tabu in der Pflege und Behindertenhilfe
Wer in der Altenpflege oder in der Behindertenhilfe arbeitet, begegnet Menschen in sehr persönlichen Lebenslagen. Dazu gehört je nach den Bedürfnissen und Fähigkeiten der betreuten Person auch, beim Waschen oder beim Toilettengang zu unterstützen. Doch nicht immer ist diese Nähe leicht auszuhalten. Der Ekel gehört zu den Gefühlen, über die im Pflegealltag oft geschwiegen wird – obwohl er ganz natürlich ist. In diesem Beitrag möchten wir offen, aber respektvoll über das Thema sprechen: Warum empfinden wir Ekel? Was bedeutet das für die Arbeit in der Pflege oder Behindertenhilfe? Und wie kann man damit gut umgehen, ohne die Würde der betreuten Menschen aus dem Blick zu verlieren?
Ekel ist menschlich – auch in der Pflege
Ekel ist zunächst mal ein Schutzmechanismus: Er warnt uns vor möglichen Gefahren wie Krankheitserregern oder verdorbenem Essen. Dieses Gefühl ist angeboren und vollkommen normal. Auch im Beruf lässt es sich daher nicht einfach abstellen. Wer sich vor bestimmten Gerüchen, Ausscheidungen oder körperlicher Nähe ekelt, hat deshalb weder ein "schwaches Nervenkostüm" noch ist er oder sie ungeeignet für soziale Berufe. Das Tabu entsteht vor allem dann, wenn man sich schämt, Ekel zu empfinden – oder Sorge hat, andere könnten es als mangelnde Professionalität verstehen. Dabei kann der offene, reflektierte Umgang mit dem Gefühl entscheidend dafür sein, langfristig gesund und achtsam zu arbeiten. Generell gilt: Es ist in Ordnung, eigene Grenzen wahrzunehmen – aber auch wichtig, einen Umgang damit zu finden.
Zwischen Mitgefühl und Abgrenzung: Strategien im Pflegealltag
Halten wir an dieser Stelle also fest: Ekelgefühle sind nicht ungewöhnlich. Entscheidend ist vielmehr, wie man damit umgeht. Denn Menschen, die gepflegt werden, spüren meist sehr genau, wie ihnen begegnet wird. Sie wünschen sich – zu Recht – Respekt und Würde, auch wenn ihr Körper pflegebedürftig ist. Ein professioneller Umgang mit Ekel bedeutet nicht, das Gefühl zu unterdrücken, sondern Wege zu finden, mit dieser allzu natürlichen Empfindung umzugehen. Viele Pflege- und Betreuungskräfte entwickeln über die Zeit Strategien, um trotz ihrer Empfindungen professionell zu bleiben:
- Technische Hilfsmittel wie Handschuhe oder andere Einmalprodukte schützen nicht nur hygienisch, sondern können auch psychisch helfen, eine gewisse Distanz zu wahren. Wer sich „geschützt“ fühlt, empfindet weniger Stress in schwierigen Situationen.
- Strukturen und Rituale schaffen Sicherheit. Wenn bestimmte Abläufe klar sind, fällt der Umgang mit unangenehmen Situationen oft leichter. Beispielsweise kann eine bestimmte Reihenfolge bei der Körperpflege dabei helfen, sich auf die Tätigkeit zu konzentrieren, statt auf das unangenehme Gefühl.
- Humor kann ein Ventil sein – aber er braucht Taktgefühl. Ein kurzes Lächeln oder ein lockerer Spruch kann die Situation entspannen, solange er nicht verletzend ist oder auf Kosten der betreuten Person geht. Respekt steht immer an erster Stelle.
- Teamgespräche oder Supervision bieten Raum, offen über Ekel oder Unsicherheiten zu sprechen, ohne sich zu schämen. Hierbei merkt man schnell, dass man mit seinem Gefühl nicht alleine ist und kann sich Tipps von Kolleg*innen holen.
- Selbstfürsorge und Reflexion sind wichtig. Sich selbst ehrlich wahrzunehmen, ist ein wichtiger Teil professioneller Arbeit. Wer sich eingesteht, dass manche Situationen schwierig sind, kann daran arbeiten: Was genau löst Ekel aus? Wann ist es besonders schlimm? Welche Gedanken helfen mir, ruhig zu bleiben?
Fazit: Pflege bedeutet Nähe
Der Umgang mit Ekel ist ein oft unausgesprochenes Thema – dabei betrifft er viele Menschen in Pflege- und Betreuungsberufen. Entscheidend ist nicht, ob jemand Ekel empfindet, sondern wie er damit umgeht. Wer offen über seine Gefühle spricht, Unterstützung sucht und eigene Grenzen achtet, handelt verantwortungsvoll – gegenüber sich selbst und den Menschen, die auf Pflege angewiesen sind. Die Betreuung hilfsbedürftiger Personen ist nicht nur körperliche Arbeit, sondern auch Beziehungsarbeit. Sie verlangt Respekt, Mitgefühl und manchmal auch die Bereitschaft, eigene Komfortzonen zu hinterfragen. Das ist nicht immer leicht, aber ein wichtiger Schritt hin zu einer würdevollen Begleitung im Alltag.